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23. Vom Schmerz zur Heilung und von der Gnade der Vergebung

Eigentlich denken Ravel und Melina sich nur eine Geschichte aus von Luminarien, dem Land des Lichts und der Herzensliebe. Doch sie entdecken, dass es „Türen“ gibt, die die Welten miteinander verbinden und dass die Liebe, die sie in Lunarien erleben zunehmend ihre irdische Realität beeinflusst…

Etwas verwirrt und immer noch leicht schlaftrunken erwachte Ravel. Verschwommen erinnerte er sich noch daran wie er träumte, dass er vor seinem Computer saß und auf ihn einhämmerte, weil dieser nicht so funktionierte, wie er wollte. Ravel wurde immer verzweifelter und verlor völlig die Geduld bis er schließlich absolut keine Kontrolle mehr über sich hatte. Plötzlich sah er seinen Vater im Traum vor sich. Der zeigte tiefe Reue für all die Fehler, die er in der Vergangenheit begangen hatte an seinem Sohn Ravel, seiner Mutter und seinen Geschwistern, die so oft unter den Wutausbrüchen des Vaters zu leiden hatten. Er konnte sich noch sehr deutlich an die letzte Sequenz im Traum erinnern, als sein Vater  ihm ins Gesicht sah und sagte: „Glaubst du mir, wenn ich dir sage: Ich liebe dich!? Ich habe dich immer geliebt! Kannst du mir das glauben?“

Dieses Flehen in den Augen seines Vaters berührte ihn. Zeit seines Lebens konnte er sich nicht erinnern, dass sein Vater ihn so flehentlich angesehen hätte. Ravel hatte im Grunde schon lange mit seinem Vater abgeschlossen, das glaubte er zumindest…

Seit gut 15  Jahren hat er seinen Vater nicht mehr gesehen. Er wollte diesem Mann, der ihm so viel Leid gebracht hatte, nie, nie wieder sehen. Nie hatte er so viel Angst vor einem Menschen, wie seinem Vater gehabt. Er hatte regelrechte Todesangst vor ihm gehabt, wenn er wieder diese unkontrollierten und jähzornigen Wutausbrüche gehabt hatte und auf seine Mutter und ihn einschlug. In der Regel traf es Ravel und abwechselnd seine Mutter, die sich schützend vor ihren wehrlosen Jungen warf. Zum Glück ließ er von seinen jüngeren Geschwistern ab.

Der hellste Tag in Ravels Leben war jener Tag, als er 13 Jahre alt war. Es war der Tag, an dem seine Mutter den Entschluß fasste, seinen Vater mit ihm und seinen Geschwistern zu verlassen. Nie mehr in Angst und Schrecken leben müssen, nie mehr in Todesangst zu sein… das war ein unglaublich befreiendes Gefühl für Ravel. Für ihn war es der symbolische Todestag seines Vaters. Seit jenem Tag sprach er nur noch verächtlich von seinem „Erzeuger“. Er hatte sich sogar schon dabei ertappt, wie er Freunden vorlog, sein Vater sei schon lange verstorben. Es entsprach seinem inneren Erleben und seinen Gefühlen.

Doch nun… dieses Flehen in den Augen seines Vaters, den er im Traum deutlich vor sich gesehen hatte, ließ ihn nicht los. Es war Samstag vormittag gegen 10.00 Uhr, als sein Handy klingelte. Sein jüngster Bruder Ferdinand erklärte ihm aufgeregt: „Unserem Vater geht´ s nicht gut, er liegt auf der Intensivstation. Die Schwester am Telefon sagte mir, er flüstere immer wieder nur mit letzter Kraft: „Meine Kinder, meine Kinder…..was hab ich nur getan!“. Sie sagte, er sei stark verwirrt und nicht ansprechbar. Er liegt im Heilig-Geist-Krankenhaus. Kommst Du?“

Ravel hätte nie gedacht, dass ihm diese Nachricht fast den Atem rauben könne Irgendein ein Teil in ihm ahnte die Tragweite dieses Geschehens. Er antwortete mit einem hastigen:  „Ok,  ich bin in einer halben Stunde da. Ich komme mit dem Taxi.“  In all dem bemerkte er eine seltsame Synchronizität zwischen seinem Traum letzter Nacht und der gegenwärtigen Situation.

Im Taxi sitzend betete er innständig, alle Kräfte im gesamten Kosmos mögen ihm nun beistehen. Bilder aus seiner Kindheit tauchten auf, er spürte wieder all´ die Schläge und die blinde Wut seines Vaters, all´ die angstvollen Stunden, in denen er um sein Leben zitterte. Er hörte seinen Vater wutentbrannt schreien: „Ich bringe euch alle um, ich schlag euch tot!“. Er sah das wutrote Gesicht seines Vaters vor ihm, wie er seine Hand, riesig wie ein  Spaten, zum Schlag ausholte. Er hörte seine Mutter wimmern und verzweifelt flehen, sein Vater möge sich doch beruhigen und besinnen, sah wie sie sich schützend vor ihn warf. Alle schrien, einschließlich er selbst, der noch kleine Ravel, der einen gellender Schrei aus Todesangst ausstieß.

 Schweißperlen hatten sich bei diesen schmerzvollen Erinnerungen auf seiner Stirn gebildet, seine Händen zitterten wie Espenlaub, sein Herz raste, obschon Ravel bewußt war, dass es sich hier nur noch um eine Erinnerung handelte, ein Relikt aus seiner Kindheit. Er konnte beobachten, wie sich diese Todesangst schon fast in eine Todessehnsucht umzuwandeln schien. Innerlich wimmerte er: „Ich halt´s nicht aus, ich halt´s nicht aus. Dieser Schmerz ist so überwältigend, so unendlich vernichtend. Ich möchte gerade jetzt NICHT MEHR SEIN. ICH MÖCHTE LIEBER TOT SEIN, ALS DIESEN UNGLAUBLICHEN SCHMERZ AUCH NUR EINE EINZIGE WEITERE SEKUNDE ERTRAGEN ZU MÜSSEN!“

Plötzlich wurde es ganz friedlich und still in und um ihn herum. „Wo bin ich? Bin ich jetzt tatsächlich vor Angst gestorben?“ Plötzlich sah er SemSobra vor sich. Der Mann mit den goldenen Augen, der niemals auch nur einen einzigen Schatten warf,  hatte ein sanftes und mitfühlendes Lächeln auf seinem Gesicht.
„Du immer geliebtes Menschenkind, Ravel, ich fühle mit dir. Ich weiß, mein Lieber, es gibt Schmerzen, die können so überwältigend erscheinen, dass sie sich von Todesangst in Todessehnsucht verwandeln können. Es gibt sehr, sehr schmerzhafte Situationen im Menschsein, in denen man dem Tod näher als dem Leben zu sein scheint. Doch wisse, geliebte Menschenseele, du bist niemals allein, zu keiner Zeit. Gerade jetzt in deinen dunkelsten Stunden halte ich dich und bin ganz nah bei dir. Kannst du es spüren? ICH BIN DA!!!“

ICH BIN DA! Welch kraftvolle Aussage! Welch unglaublichen Frieden diese Aussage SemSobras in Ravels Seele doch auslöste. Es war wie ein sich Hingeben, ein sich Fallenlassen in den Schmerz, um die Gnade des Friedens erleben zu können. War das seine fast lebenslang schon gewünschte Heilung, nach der er sich still im Herzen schon so lange gesehnt hatte? Wieder hörte er Sems Stimme: „Beim letzten Schritt in die Vergebung werde ich auch bei dir sein. ICH BIN DA!“

Ravel stand vor der Zimmertür zum Krankenbett seines Vaters. Als er plötzlich den kleinen Ravi vor seinen Augen deutlich sehen konnte, der  immer noch ängstlich war. Er sprach in Gedanken beruhigend zu dem kleinen Jungen tief in seinem Inneren: „Ich bin jetzt groß und erwachsen. Ich werde dich beschützen.“
„Beschützen,“ dachte er noch so bei sich, bevor er über die Türschwelle ging. „In der Liebe ohne Gegenteil gibt es nichts zu beschützen“.   
Dieser Gedanke brachte ihm und dem kleinen Jungen in sich tiefen Frieden. Sein Vater lag da vor ihm, an einem Monitor  angeschlossen, der Herzschlag, Atmung und Blutdruck überwachte. Erst schien er Ravel kaum wahrzunehmen – er kämpfte mit seinem Leben.

Ganz behutsam legte Ravel seine Hand auf die Hand seines Vaters. Sein Vater schien eine Woge der Liebe und des Friedens durch diese Berührung zu spüren. „Papa, ich glaube dir. Ich vergebe dir. Ich liebe dich. Mein Papa…..Ich bin da!“

Tränen der Freude und Dankbarkeit rannen über Ravels Gesicht. Ein tiefer Frieden stellte sich ein. Als sein Vater unerwartet die Augen öffnete…

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